Definition eines digitalen Gartens


Das Gleichnis vom Senfkorn

Lukas 13,18-19

Dann sprach er: »Wem ist das Königreich Gottes gleich, und unter welchem Bild soll ich's darstellen? Es ist wie ein Senfkorn, das einer nimmt und in seinen Garten sät; das wächst und wird zu einem großen Baum, und die Vögel des Himmels nisten in seinen Zweigen.«

Das Gleichnis vom Senfkorn ist der Versuch Jesu, seinen Zuhörern, die Entwicklung und Größe des Reichs Gottes bildlich darzustellen. Zunächst wirkt es klein und unscheinbar, eben wie ein Senfkorn. Im Laufe der Zeit aber wird es, um mich der Worte von Hermann Broch zu bedienen: überkonkret, nicht mehr wegdenkbar und die Welt überspannend.[1]


Weshalb das Senfkorn-Gleichnis?

Nun, es eignet sich hervorragend, um das Konzept zu verstehen, welches einem digitalen Garten zugrunde liegt. Denn ähnlich einem Senfkorn, das im Laufe der Zeit zu einem großen Baum heranwächst, verhält es sich auch mit einem digitalen Garten und den in ihm gedeihenden Gewächsen.

Zunächst einmal ist ein digitaler Garten eine Ansammlung von Gedanken in Form von Notizen.[2] Bei einem Gedanken kann es sich zum Beispiel um eine Idee, Eingebung oder Inspiration handeln. Ein aus Sicht des Gärtners verheißungsvoller Gedanke wird eingefangen und als Notiz in den Garten gepflanzt. Die Notizen sind also das Saatgut und damit die Grundlage eines jeden digitalen Gartens.

Im Laufe ihres Gartenlebens durchläuft eine Notiz verschiedene Entwicklungsstadien. Jede neu gesäte Notiz wird im Jargon des digitalen Gärtners als Sämling (Maturity Level: 1|14) bezeichnet. Die Aufgabe des Gärtners besteht nun darin, dem Sämling – also seinen ursprünglichen Gedanken – mit Fortschreiten der Zeit wachsen (oder gedeihen) zu lassen. Der Gärtner sorgt für ideale Keimungsbedingungen, indem er sich stetig dem Sämling widmet – die Notiz wird konkretisiert. Eine konkretisierte Notiz wird als Setzling (Maturity Level: 2|14) bezeichnet. Ist die Notiz schließlich in ihrer Konkretheit vollkommen geworden, gilt sie als inhaltlich reif und ist zu einer Frucht (Maturity Level: 3|14) herangewachsen. Ebenso einer analogen Frucht gilt auch für eine digitale Frucht der Leitsatz: »Auch eine Frucht braucht Pflege!« Aus diesem Grund ist eine Notiz im Fruchtstadium keineswegs autonom und nur selten gänzlich fertiggestellt. Allerdings hat sie einen Reifegrad angenommen, der beim Konsumenten der Frucht – das heißt dem Leser der Notiz – wiederum neue Früchte hervorbringen kann.


  1. Auch wenn Hermann Broch diese Worte in einem anderen Kontext benutzt, finde ich sie im Zusammenhang mit dem »Gleichnis vom Senfkorn« ausgesprochen passend und zweifelsohne den Sinn treffend. ↩︎

  2. Im Kontext des digitalen Gartens verwende ich stets den Begriff Notiz für sämtliche Niederschriften, unabhängig davon, ob diese einen kleinen oder großen textlichen Umfang aufweisen. ↩︎